08.05.25

Propylenglykol für Kühe
Propylenglykol – ein Glucogen aus dem Chemielabor für die Milchviehfütterung
1. Chemische Identität und Reinheitsanforderungen
Propylenglykol (PG), systematisch 1,2-Propandiol, ist eine farblose, hygroskopische Flüssigkeit mit der Formel C₃H₈O₂ und einer Dichte von etwa 1,038 kg l⁻¹. Industriell entsteht es durch die Hydrolyse von Propylenoxid unter Hochtemperatur- oder katalytischen Bedingungen, gefolgt von Rektifikation, um pharmazeutische bzw. futtermittelgeeignete Reinheit zu erreichen. Für den Einsatz im Futter darf ausschließlich technisch reines PG (≥ 99,5 %) verwendet werden, um Fremdstoffe wie Dipropylenglycol zu minimieren.
2. Wirkungsmechanismus im Pansen & Intermediärstoffwechsel
Etwa ein Drittel des verabreichten PG wird im Pansen zu Propionat fermentiert; Propionat dient der Leber direkt als Glukoneogenese-Substrat. Der unveränderte Rest diffundiert rasch durch die Pansenwand, wird in der Leber via Pyruvat in Glukose umgewandelt und triggert innerhalb von 30 min eine 2- bis 4-fache Insulinfreisetzung. Die gesteigerte Glukose- und Insulinverfügbarkeit senkt die Konzentrationen nicht-veresterter Fettsäuren (NEFA) sowie β-Hydroxybutyrat (BHB) – zwei Marker negativer Energiebilanz und Ketose. Gleichzeitig sinkt der Leber‐Triglyzeridgehalt, was eine Fettleberentwicklung erschwert.
3. Nachgewiesene Effekte in der Praxis
Ketoseprophylaxe & -therapie: Mehrere Feldstudien zeigen, dass 300 ml PG d⁻¹ die Dauer moderater Ketosen um ~20 % verkürzen und das Risiko eines Übergangs in schwere Ketose halbieren.
Milchleistung: Die durchschnittliche Milchmenge steigt nicht immer signifikant, aber manche Hochleistungsherden berichten in den ersten 60 Laktationstagen +0,8 kg ECM d⁻¹.
Reproduktion: Reduzierte Insulin-Resistenz nach PG-Supplementierung korreliert in Übergangsperioden mit weniger postpartalen Gebärmuttererkrankungen.
Nebenwirkungen: Bei Einzeltieren treten gelegentlich Speicheln, steifer Gang oder leichte Atmungsdepression auf, meist nach Bolusgaben > 400 ml.
4. Dosierungsstrategien – State of the Art 2025
Für moderne Laktations-Managementsysteme hat sich folgendes Stufenschema etabliert:
Phase | Dauer | Tagesmenge PG | Applikation |
---|---|---|---|
Vor Kalbung (-14 d) | 14 d | 150 ml | TMR oder Kraftfutterstation |
Frühes Wochenbett (+7 d) | 7 d | 250 ml | TMR oder top-dressing |
Frühlaktation | bis DIM 100 | 250 ml | Automatische Dosierer / Bolus |
Einzeldrenchen für klinische Ketose orientieren sich international an 300 ml PG über 3-4 Tage. Mengen > 500 g d⁻¹ werden vermieden, da sie das Risiko von Magenblähungen und Schwefelgasbildung erhöhen.
5. Rechtlicher Rahmen & Deklaration
Seit Inkrafttreten der EU-Verordnung (EU) 892/2010 wird Propylenglykol nicht mehr als Zusatzstoff, sondern als Einzelfuttermittel geführt; die Angabe des PG-Gehalts auf Mischfutteretiketten ist obligatorisch. Die energetische Deklaration erfolgt nach GfE-Formel mit 9,8 MJ NEL kg⁻¹; eine zusätzliche „Bonus-Energie" aus Glukoneogenese darf rechtlich nicht ausgewiesen werden.
6. Wirtschaftlichkeit – Zahlen, bitte!
Bei einem aktuellen Marktpreis von 1,30 € kg⁻¹ in Mitteleuropa (Mai 2025) liegen die Ketose-Präventionskosten pro Kuh und Laktation bei ~6 €. Demgegenüber stehen durch Ketose verursachte Verluste von 150 – 300 € (Milch, Fruchtbarkeit, Tierarzt), sodass sich der vorbeugende Einsatz rasch amortisiert. Wer PG bis DIM 100 einsetzt, investiert rund 40 €; hierfür müssten 150 kg Mehrmilch erzeugt werden, was herdenspezifisch zu prüfen ist.
7. Bezug & Lagerung – Praxisinfos für Landwirte
PG ist als 5–25 kg Kanister oder IBC erhältlich. Händler wie BayWa, Schippers oder myAGRAR achten auf USP-Qualität und liefern bundesweit binnen 48 h. Die Lagerung erfolgt frostfrei (< 40 °C) in lebensmittelechten PE-Behältern; offener Produktkontakt ist wegen Hygroskopie zu vermeiden.
8. Aktuelle Forschung & Kontroversen
Neuere Neuseeländische Weidebetriebsstudien stellen die flächige Behandlung leichter Hyperketonämien (BHB 1,2-1,4 mmol l⁻¹) infrage, da PG zwar BHB schneller senkt, aber nicht zwangsläufig Milch- oder Fruchtbarkeitskennzahlen verbessert. Andere Projekte untersuchen Kombinationen mit Monensin oder Glycerol, um Nebenwirkungen zu minimieren und Glukosepeaks zu glätten. Gleichzeitig zeigen Omics-Analysen, dass PG oxidativen Stress und Entzündungsmarker reduziert, was über die reine Glukoneogenese hinaus Vorteile verspricht.
9. Ausblick
Mit der Verfügbarkeit automatischer Dosiersysteme in Präzisionsfütterungsanlagen wird PG künftig noch zielgenauer verabreicht: Sensoren messen BHB in Echtzeit und triggern bedarfsgerechte Gaben. Parallel arbeiten Start-ups an pflanzlichen Propionat-Vorstufen, die PG teilweise ersetzen könnten – spannend für Betriebe mit Bio-Zertifizierung.
Fazit: Propylenglykol bleibt 2025 das Glucogen Nr. 1 gegen Ketose – wirtschaftlich attraktiv, rechtlich klar geregelt und wissenschaftlich breit erforscht. Ein kluger Dosierplan maximiert Nutzen und minimiert Risiken, während neue Studien die Anwendung noch feiner justieren.